Nachts erwacht der Hub zum Leben

Leipzig bei Nacht – im DHL-Hub

Karin Quack arbeitet als freie Autorin und Editorial Consultant vor allem zu IT-strategischen und Innovations-Themen. Zuvor war sie viele Jahre lang in leitender redaktioneller Position bei der COMPUTERWOCHE tätig.
Erst gegen Mitternacht wird die DHL-Express-Drehscheibe in Leipzig so richtig munter. Und sofort kann es hektisch werden – allerdings nur dann, wenn die Transport-, Sortier- und Prüfsysteme einmal nicht funktionieren sollten.

Um 22.30 Uhr ist es noch ruhig im Network Control Room. Ein paar Mitarbeiter verfolgen die Nachrichten auf CNN, um etwaige Störfaktoren, vor allem das Wetter, rechtzeitig auf dem Schirm zu haben. Andere haben sich zu einer Besprechung in eine Ecke zurückgezogen. Einige wenige widmen sich den vereinzelten Flugzeugen, die bereits auf dem Rollfeld eingetroffen sind. Eine der Aufgaben besteht darin, von einem separaten Quality Control Center aus die proaktive Kundensendungsverfolgung für die Top-100-Klientel zu überwachen. Bis zur maximalen Betriebsamkeit dauert es aber mindestens noch eine Stunde.

Jede Nacht 300.000 Sendungen, die mit bis zu 60 Flugzeugen reinkommen und wieder rausgehen - so sieht das Tag- oder besser Nachtwerk des DHL-Hub in Leipzig aus. Er bildet eine der weltweit drei Drehscheiben, über die der Business-to-Business-Dienstleister DHL Express die Sendungen seiner Kunden weiterleitet. Die anderen befinden sich in Cincinnati und Honkong.

Der Vorgänger des "LEJ Hub" befand sich in Brüssel. Aber vor einigen Jahren stieß er an seine Kapazitätsgrenzen. DHL entschied, nach Leipzig umzuziehen: in die Mitte Europas mit guter Anbindung an Autobahn und Schiene sowie einer nachts exklusiv zu nutzenden Startbahn und genügend Standfläche für 60 Flugzeuge - diese Faktoren sprachen für den Standort, der nun seit fünf Jahren in Betrieb ist.

Zwei Millionen Quadratmeter umfasst das nutzbare Areal. Allein die Sortierhalle misst eine halbe Million Quadratmeter. Pro Schicht arbeiten dort 700 Mitarbeiter. "Guten Morgen", grüßen sie, wenn sie zu nachtschlafender Zeit ihren Dienst antreten.

Zwei Stunden Standzeit reichen

Ab 23.30 Uhr kommt alle sechs Minuten ein Flieger herein. Die großen Maschinen bringen bis zu 140 Tonnen Ladung mit. Im Durchschnitt werden innerhalb weniger Stunden 1800 Tonnen aus- und meist auch wieder eingeladen. Der Entladevorgang dauert je nach Kapazität des Fliegers 25 bis 60 Minuten, das Beladen etwas länger. Die Maschinen stehen also etwa zwei Stunden, bis sie mit neuem Ziel wieder auf die Reise geschickt werden.

Mit einem automatischen Leitsystem werden die Flugzeuge per Lichtzeichen an ihre Parkposition geführt. Gleichzeitig bringen sich die Dollies in Stellung. Das sind kleine Transportwaggons, die die Ladung aufnehmen. Praktischerweise wurden alle Sendungen schon am Ursprungsort in "Unified Loading Devices" (ULDs) gepackt, deren Maße für die Dollies optimiert sind.

Weil die Ladungen teilweise noch einmal auseinandersortiert und neu zusammengefasst beziehungsweise gebündelt werden, müssen sie nach logischen Kriterien verpackt werden, nicht nur nach Adressen. Jede Sendung hat eine eigene ID, die als Barcode aufgedruckt und von standardisierten Scannern ausgelesen werden kann.

Zu diesem Zweck transportieren die Dollies ihre Fracht in die große Halle. Dort breitet sich über die gesamte Fläche und in drei Etagen die Sortieranlage aus.

An der dem Flugfeld zugewandten Hallenwand passieren alle Sendungen zunächst einen der insgesamt 20 Sechs-Seiten-Scanner. Die sind in der Lage, die Sendungsinformationen auszulesen, ohne dass das Paket angefasst werden müsste. Das haben sie beispielsweise Funketiketten voraus, die beim Erfassen erheblich mehr Aufwand erfordern und deren Informationen wegen des umgebenden Metalls häufig nur bruchstückhaft lesbar sind. Die erfassten Informationen und die mitgelieferten Sendungslisten erlauben es, die Pakete über die Anlage automatisch an ihren nächsten Bestimmungsort zu leiten.

Geld-zurück-Garantie für VIPs

Der Datenaustausch mit den Sendern und Empfängern geschieht über die Standardformate EDI und Ecom, erläutert der IT-Verantwortliche des Hub, Stefan Breidung. Große Kunden bekommen ein eigenes Label-Creation-System an die Hand, mit dem sie ihre Sendungen - im Einklang mit dem Edifact-Standard - selbst etikettieren können. Mit EDI können DHL Express und seine Kunden gemeinsam den Sendungsverlauf planen.

Zudem erhalten die VIPs unter den Kunden die Möglichkeit, ihre Sendungen einzeln und in Echtzeit zu verfolgen - dank eines engmaschigen Systems von größtenteils automatischen Scannern. Mit dieser Klientel lässt sich DHL auch auf terminabhängige Verträge ein - einschließlich Geld-zurück-Garantie für den Fall, dass die Lieferung innerhalb der vereinbarten Zeit (Ende bis Ende gemessen) nicht eingetroffen ist. Der allergrößte Teil der Lieferungen komme aber rechtzeitig an, versichert der Europa-CIO von DHL Express, Dirk Olufs. Limitierender Faktor sei allenfalls der Zoll.

Der sitzt in Gestalt zweier Beamter in einer Ecke direkt hinter den Eingangsscannern und wählt über die Sendungslisten Pakete aus, die er sich näher anschauen möchte. Die werden dann vom Sorting-Band automatisch selektiert und ausgeleitet. Menschliche Mitarbeiter sortieren sie in ein Pick-to-light-System, von wo sie einzeln entnommen, geprüft, wieder eingelegt und in den Kreislauf zurückgeschleust werden. Falls sich aber ein Verdacht erhärtet, muss die Sendung eine der drei vollautomatischen Röntgenanlagen durchlaufen, deren Bilder in heiklen Fällen auch noch von Menschenaugen kontrolliert werden.

DHL Express beschäftigt insgesamt 100.000 Mitarbeiter, davon 2500 in der IT. In der europäischen IT-Zentrale, für die Olufs verantwortlich ist, gibt es 45 IT-Mitarbeiter mit 18 unterschiedlichen Nationalitäten. Die Rechenzentren des Logistikdienstleisters stehen in Prag und Malaysia.

Shared Services mit der Post

Ein Großteil der IT-Leistungen wird aus einem gemeinsam mit der Post betriebenen Shared-Services-Center bezogen. Am Hub in Leipzig sind aber immerhin 38 IT-Spezialisten beschäftigt. Wie viele davon aus dem lokalen Server-Zentrum in das RZ nach Prag wechseln könnten, ist zwischen Olufs und Breidung in der Diskussion. Schließlich geht es auch in der IT von DHL um die Frage, wo sich was optimieren ließe.

Vor-Ort-Support statt Optimierung

Allerdings braucht vor allem das automatische Sortiersystem einen schnellen Vor-Ort-Support, denn ein Ausfall hätte katastrophale Folgen. Hier gibt es nicht nur eine Menge mechanischer Teile, beispielsweise Kipp-Loren oder ausfahrbare "Füße", die die Sendung in eine Abzweigung lenken, sondern auch eine zwar robuste, dafür aber besonders geschäftskritische Anwendungssoftware.

Die Sortiersoftware wird vom Hersteller des Dispatching-Systems mitgeliefert. DHL Express muss nur noch seine Regeln implementieren. Bei den Anbietern handelt es sich zumeist um spezialisierte Firmen, deren Namen dem breiten Publikum wenig sagen (siehe Tabelle auf Seite 35). SAP biete da auch etwas, räumen Olufs und Breidung ein, allerdings reichten Funktionsumfang und Skalierbarkeit noch nicht aus.

Mit den Sortierern verbunden ist ein Kapazitäts-Management-System, das sogar einige Carrier der Leipzig anfliegenden Passagiermaschinen übernommen haben. Da alle Systeme untereinander vernetzt sind, lässt sich auf Basis der aktuellen Sendungsinformationen und einiger historischer Daten ad hoc die Gesamtkapazität der Nacht durchplanen. Auf diese Weise befinden sich jeweils genügend Leute an den Stellen, wo sie gerade gebraucht werden. Und niemand steht gelangweilt rum, bis im Morgengrauen die letzte Maschine abgefertigt ist und sich die Belegschaft mit einem "Gute Nacht" in den Tag hinein verabschiedet. (mhr)

Die wichtigsten IT-Systeme der DHL-Express-Drehscheibe im Überblick

Anwendung

Lieferant

Funktion

NMIV (Network Movement Integrated View)

Inhouse-Entwicklung

NMIV sammelt alle Bewegungsdaten der Flugzeug- und Fahrzeugflotte aus dem internationalen DHL-Express-Netz und gibt so einen integrierten Überblick der Boden- und Luftoperation. Via Gantt-Charts werden Echtzeitinformationen zu den Aktivitäten im Netz zur Verfügung gestellt. Zudem umfasst das System flugzeugbezogene Prozesse der Be- und Entladung. Eine Schnittstelle zum Ramp-Management-System erlaubt einen intensiven Informationsaustausch.

SABLE

Inhouse-Entwicklung

Mit SABLE wird die je nach Flugzeugtyp vorgegebene Beladung sichergestellt. Das "Trimmen" des Flugzeugs sorgt für eine nach Gewicht ausbalancierte Beladung. Das System berücksichtigt auch spezielle Anforderungen für den Transport gefährlicher Güter sowie die Bereitstellung der benötigten Flugdokumente inklusive Beladeinformationen.

AHS (Aviation Hub System)

Inhouse-Entwicklung

AHS ist ein zentrales modulares System für die Erfassung und Zuordnung der Sendungen zu den Transporteinheiten. Es verwaltet auch den Status der Sendungen auf dem Transportweg. Die Informationen der "Check-Points" werden dem Track- und Trace-System für die Kunden übergeben.

MHS (Material Handling System)

Sentec Software GmbH (Sortierlogik),

Sit Steuerungstechnik GmbH (Visualisierung),

Vitronic Dr.-Ing. Stein

Bildverarbeitungssysteme GmbH (Lesetechnik)

MHS ist eine Kombination aus verschiedenen Sortiersystemen und Verbindungsstrecken. Das System ermöglicht die Sortierung von Paket- und Dokumentensendungen. Über eine zentrale Sortierlogik wird die von der Sechs-Seiten-Lesetechnik ermittelte Piece-ID mit den Kundensendungsdaten aus den DHL-eigenen Kundendatensystemen abgeglichen. Zugleich wird das Sortierziel festgelegt und dann die Sendung auf dem kürzesten Weg durch die Anlage sortiert. Die Echtzeitvisualisierung der Gesamtanlage gibt einen einfachen Überblick über den Status der Aktivitäten der Sortieranlage sowie einen Forecast, wie viele Sendungen zu einer bestimmten Endstelle unterwegs sind.

RMS (Ramp Management System)

Inform GmbH

RMS koordiniert alle Bewegungen der Ground-Support-Fahrzeuge auf dem Vorfeld. Über Handhelds bekommen die Fahrzeugführer die Arbeitsaufträge weitergeleitet und melden den Status zurück. Dadurch werden sowohl der Transport der Frachtcontainer als auch die Be- und Entladung der Flugzeuge optimiert und effizient gestaltet. Das System hat eine Schnittstelle zu den Fluginformationssystemen des Flughafens, um die aktuellen Start- und Landezeiten der Flugzeuge zu verarbeiten.

SPX (SP-Expert)

Interflex Datensysteme GmbH & Co. KG

SPX ist verantwortlich für Ressourcenplanung und Zeiterfassung im Hub. Als Ergebnis der Planung werden Ressourceneinsatzpläne für die Mitarbeiter in allen Bereichen zur Verfügung gestellt und in die Management-Systeme wie RMS übertragen.

Quelle: Stefan Breidung, IT-Leiter LEJ Hub

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