ERP-Transformation in Zeiten von Covid-19

Neue Strategien für die Umstellung auf S/4HANA

Marco Lehmann, Head of ERP Consulting bei KPMG, verfügt über eine langjährige Erfahrung sowie ein ausgeprägtes Expertenwissen hinsichtlich der Gestaltung und Abbildung komplexer betriebswirtschaftlicher Themenstellungen in Prozessen und  IT-Systemen. Dieses Wissen kombiniert er mit einem breiten Methoden-Knowhow und der Fachkompetenz eines Wirtschaftsprüfers. Er ist verantwortlich für die Einführung und Optimierung von ERP-Lösungen mit Schwerpunkt SAP, insbesondere im Rahmen umfassender Business Transformations.
Seit der Markteinführung der neuesten Generation des ERP-Systems S/4HANA von SAP hat sich vieles verändert - was jetzt zu tun ist.
Vor allem der Ausbruch der Corona-Pandemie und die Verlängerung des Wartungszeitraums für die Vorgängerversionen beeinflussten die Planung der ERP-Transformation in vielen Unternehmen.
Vor allem der Ausbruch der Corona-Pandemie und die Verlängerung des Wartungszeitraums für die Vorgängerversionen beeinflussten die Planung der ERP-Transformation in vielen Unternehmen.
Foto: GaudiLab - shutterstock.com

Die Corona-Pandemie hat tiefgreifende Veränderungen in der Geschäftswelt angestoßen, viele Unternehmen mussten ihre Planungen und Strategien in erheblichem Umfang an die neue Situation anpassen - sei aufgrund des Wegfalls von einzelnen Geschäftsbereichen und Vertriebskanälen oder der Verlagerung bestimmter Arbeitsprozesse ins Homeoffice. Die Auswirkungen der Pandemie zeigen sich auch bei der Umstellung auf S/4HANA. Die neue Studie "S/4HANA-Umstellung: Status quo, Planung und Roadmap zur ERP-Modernisierung in der Corona-Pandemie", die KPMG gemeinsam mit Lünendonk durchgeführt hat, untersucht daher, wie Unternehmen die veränderten Rahmenbedingungen bewerten und ihre Erwartungen und Strategien entsprechend anpassen.

ERP-Transformation in Zeiten von Covid-19

Beinahe die Hälfte der im Rahmen der Studie befragten Unternehmen gaben an, dass der Ausbruch der Corona-Pandemie und ihre Folgen unmittelbaren Einfluss auf die S/4HANA-Tranformation hatten: 47 Prozent haben ihre Planung zunächst gestoppt, aber später mit an die veränderten Bedingungen angepasstem Projektumfang wieder aufgenommen. Nur sehr wenige Unternehmen haben ihre S/4HANA-Projekte vollständig aufgegeben.

Dass die S/4HANA-Umstellung weiter hohe Priorität genießt, ist eine der zentralen Erkenntnisse der neuen Studie. Zudem wird dem intelligenten ERP-System eine neue Bedeutung beigemessen. Während die Adaption der neuen Software-Generation zunächst nur zögerlich vonstattenging, bewerten inzwischen 64 Prozent der Befragten die Einführung von S/4HANA sogar als einen integralen Bestandteil ihrer IT-Modernisierungsstrategie. Unsere Gespräche mit Unternehmen im Zuge unserer Beratertätigkeit bestätigen diese Ergebnisse.

Die Digitalisierung im Fokus

Die Corona-Krise macht deutlich, welche entscheidende Rolle der Digitalisierung zukommt. Denn im Zuge der Krisenbewältigung stieg nicht nur der Bedarf an digitalisierten Prozessen - es wurde ebenfalls evident, welche Vorteile diese beispielsweise bei der Schaffung von neuen, digitalen Geschäftsmodellen oder bei der Suche nach Einsparpotenzialen oder Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung bieten.

Digitale Prozesse und IT-Systeme schaffen die Grundvoraussetzung für Agilität und Flexibilität. Hier zeigt die Studie, dass sich auch bei Unternehmen immer mehr die Einsicht durchsetzt, dass die Einführung von S/4HANA zugleich für die Optimierung von Systemlandschaften und Prozessen genutzt werden sollte.

Fundamentaler Wandel hinsichtlich der Migrationsstrategie

Mit Blick auf die konkrete Umsetzung von S/4HANA-Projekten, brachte das Corona-Jahr eine wesentliche strategische Anpassung. Während im Jahr zuvor noch 57 Prozent eine Präferenz für eine rein technische Migration innerhalb der bestehenden Prozesswelt zeigten, ist dieser Anteil im Jahr darauf stark gesunken. Nur noch 30 Prozent bevorzugen den sogenannten Brownfield-Ansatz, bei dem lediglich das vorhandene ERP-System ein Upgrade auf die neue Version erfährt. Demgegenüber wächst das Interesse an einem gemischten Ansatz deutlich, also einer Kombination von Brownfield- und Greenfield-Ansatz. Dabei werden zusätzlich zum Upgrade neue ERP-Prozesse eingeführt und integriert.

Während im Rahmen der Vorläuferstudie nur 18 Prozent der Befragten angaben, diese Mischform zu präferieren, waren es im Jahr 2020 bereits 43 Prozent. Dieser Befund ist insofern bemerkenswert, als es sich dabei nicht unbedingt um eine kurzfristige Maßnahme zur Bewältigung der aktuellen Anforderungen handelt, sondern vielmehr um einen Ansatz, der eine tiefergehende und ausgiebigere Planung erfordert.

Sollten Unternehmen in Erwägung ziehen, bewusst nicht "First Mover" bei der Umstellung zu sein, sondern zunächst lieber abzuwarten und aus den Erfahrungen anderer Unternehmen bei der Umstellung zu lernen, sind eine konkrete Planung und Vorbereitung von besonders großer Bedeutung. Wenn eine entsprechende Planung ausbleibt, laufen diese Unternehmen Gefahr, den Anschluss vollends zu verlieren, was negative Folgen mit sich ziehen würde.

Die Cloud gewinnt an Akzeptanz

Auch die Tatsache, dass Unternehmen nun verstärkt auf Cloud-Lösungen setzen, zeigt, dass die mit der Digitalisierung verbundenen Chancen besser erkannt, akzeptiert und genutzt werden. Immer mehr Unternehmen setzen für den Betrieb von S/4HANA auf eine Hybrid-Lösung - eine Kombination aus On-Premise, Private und Public Cloud. Insgesamt verliert damit die reine On-Premise-Nutzung an Bedeutung. Eine Nutzung von S/4HANA ausschließlich in der Cloud strebt allerdings weiterhin nur eine kleine Minderheit an.

In unserem weltweiten Transformationsgeschäft sehen wir allerdings regionale Unterschiede, speziell in Deutschland ist man in der Cloud-Frage immer noch etwas zurückhaltender als in anderen Ländern. Die Akzeptanz reiner Cloud-Lösungen ist dabei insbesondere bei jungen und aufstrebenden Unternehmen hoch. Start-Ups, die für ihren Erfolg auf standardisierte Cloud-Angebote setzen können, sind hier vergleichsweise aufgeschlossen, wohingegen kleinere traditionelle Familienunternehmen ihre Systeme eher nicht aus der Hand geben wollen.

Worauf Unternehmen bei der ERP-Transformation mit S/4HANA achten sollten

Die neue Studie macht deutlich: Das Corona-Jahr wirkt sich nachhaltig auf die Einführung von bzw. die Umstellung auf S/4HANA aus. Für mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen ist "die Notwendigkeit zum Aufbau neuer digitaler Geschäftsmodelle" einer der Hauptgründe, die S/4HANA-Migration fokussierter und beschleunigter anzugehen.

Dem steht vielfach die Sorge entgegen, die S/4HANA-Einführung sei langwierig und erzeuge erst nach Abschluss des Projekts Vorteile. Diese Annahme ist aber zu pauschal. Denn mit einer entsprechenden Planung und Strategie können schon bei der Umsetzung von Transformationsprojekten früh Erfolge realisiert werden. Dies gelingt am besten, wenn Projekte in sinnvolle Abschnitte unterteilt werden, wobei jedes erreichte Etappenziel bereits einen Mehrwert bringt.

S/4HANA für eine in die Zukunft gerichtete Aufstellung

Mit einem Fokus auf ambitionierte, aber realistische Zielsetzungen kann mit S/4HANA ein intelligentes ERP-System eingeführt werden, von dem Unternehmen schon in frühen Projektphasen profitieren können. Dabei ist es entscheidend, die mit der Umstellung verbundenen Risiken im Blick zu behalten. Transformationsprojekte gleichen einer Operation am offenen Herzen. Darum ist es entscheidend, darauf zu achten, dass das tägliche Geschäft ohne Unterbrechung weiterlaufen kann. Wenn dies gelingt, schaffen Unternehmen mit S/4HANA zugleich die Grundlage, um sich optimal im Feld der Wettbewerber zu positionieren und auf zukünftige Herausforderungen reagieren zu können.

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