Unfallversicherung muss zahlen

Unfall oder Selbstverstümmelung?

09.01.2012
Für den Verlust eines Daumens wird die vereinbarte Versicherungsleistung von 100.000 Euro fällig.
Foto: Christian Toepfer

Ein Unfallversicherer muss für den Verlust eines Daumens die vereinbarte Versicherungsleistung in Höhe von 100.000 Euro zahlen. Dies hat der 16. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in einem Urteil entschieden und damit den Einwand der Versicherung zurückgewiesen, dass eine freiwillige Selbstverstümmelung vorliege.

Darauf verweist der Kieler Rechtsanwalt Jens Klarmann, Landesregionalleiter "Schleswig-Holstein" der DASV Deutsche Anwalts- und Steuerberatervereinigung für die mittelständische Wirtschaft e. V. mit Sitz in Kiel, unter Hinweis auf die Mitteilung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts (OLG) vom 31. Oktober 2011 zu seinem Urteil vom 23. Juni 2011, Az.: 16 U 134/10.

Die Klägerin schloss mit der beklagten Versicherung im März 2006 Unfallversicherungsverträge ab, in denen sie sich selbst sowie ihren Sohn und ihren Lebensgefährten gegen Unfallschäden für die Zeit ab April 2006 versicherte. Anfang April 2006 schnitt sich ihr Lebensgefährte beim Zubereiten von Brennholz in einem ländlich gelegenen Ferienhaus mit einer Tischkreissäge den rechten Daumen ab. Die Versicherung verweigerte die Auszahlung der für Unfallschäden dieser Art vereinbarten Versicherungsleistung in Höhe von 100.000 Euro. Sie begründete ihre Weigerung damit, dass die Umstände für eine freiwillige Selbstverstümmelung durch den Lebensgefährten der Klägerin sprächen.

Aus den Urteilsgründen, so Klarmann:

Der Klägerin steht die verlangte Versicherungsleistung zu. Nach den gesetzlichen Vorschriften wird zugunsten des Versicherten vermutet, dass die Verletzung unfreiwillig erlitten wurde. Dies bedeutet, dass der Versicherer, um von der Versicherungsleistung befreit zu sein, die Freiwilligkeit nachweisen muss. Für die Freiwilligkeit sprach, dass die Klägerin und ihr Lebensgefährte sich zum Zeitpunkt der Verletzung in angespannten finanziellen Verhältnissen befanden, dass sich die Verletzung nur sehr kurze Zeit nach dem Beginn des Versicherungsschutzes ereignete und dass die Art und Weise des Abschnitts des Daumens ohne Verletzung anderer Teile der Hand für eine absichtliche Selbstverstümmelung typisch war.

Auch machten der Lebensgefährte und ein beim Unfall anwesender Zeuge vage und widersprüchliche Aussagen zum Unfallgeschehen. Zudem konnte, nachdem der Verletzte sich zunächst im Krankenhaus hatte behandeln lassen, ohne den abgeschnittenen Daumen mitzunehmen, anschließend das amputierte Fingerglied nicht mehr aufgefunden werden.

Das Oberlandesgericht sah es jedoch angesichts der konkreten Umstände noch als ernsthaft möglich an, dass der Schadenseintritt ein bloßes Unglück gewesen ist: "Es erscheint unwahrscheinlich, dass sich der Lebensgefährte den rechten Daumen freiwillig abgeschnitten haben sollte. Da er zum einen Rechtshänder ist und zum anderen der linke Daumen bereits vorgeschädigt war, hätte im Fall einer freiwilligen Verstümmelung nichts näher gelegen, als den linken Daumen zu nehmen.

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