Rechtsstreit zwischen Unicon und Igel Technology

Wirtschaftskrimi im Markt für End-User-Computing

Peter Marwan lotet kontinuierlich aus, welche Chancen neue Technologien in den Bereichen IT-Security, Cloud, Netzwerk und Rechenzentren dem ITK-Channel bieten. Themen rund um Einhaltung von Richtlinien und Gesetzen bei der Nutzung der neuen Angebote durch Reseller oder Kunden greift er ebenfalls gerne auf. Da durch die Entwicklung der vergangenen Jahre lukrative Nischen für europäische Anbieter entstanden sind, die im IT-Channel noch wenig bekannt sind, gilt ihnen ein besonderes Augenmerk.
In den vergangenen Wochen gab es einige Veränderungen im Top-Management von Igel Technology. Zu den Gründen schweigt der Hersteller. Das könnte mit einem Verstoß gegen das "Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen" zu tun haben.
 
  • Mehrere Igel-Manager verlieren ihre Posten
  • 52 E-Mails mit vertraulichen Inhalten
  • Eines der ersten Verfahren nach dem "Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen"
Aufbruchstimmung 2020: Heiko Gloge (rechts), Gründer und bis dahin CEO von Igel Technology, übergab auf der Hausmesse Disrupt „die Fackel“ offiziell an den neuen CEO Jed Ayres. 2023 wird Ayres plötzlich vom CEO zum "Company Advisor" degradiert. Er hinterlässt bei Igel viel verbrannte Erde.
Aufbruchstimmung 2020: Heiko Gloge (rechts), Gründer und bis dahin CEO von Igel Technology, übergab auf der Hausmesse Disrupt „die Fackel“ offiziell an den neuen CEO Jed Ayres. 2023 wird Ayres plötzlich vom CEO zum "Company Advisor" degradiert. Er hinterlässt bei Igel viel verbrannte Erde.
Foto: Vibrant Media Productions, LLC

Vor einem Jahr war die Meldung eher eine Randnotiz: Unicon klagte gegen Igel Technology wegen einiger zum Mitbewerber abgewanderter Mitarbeiter - unter anderem dem ehemaligen Unicon-Geschäftsführer Niels Keunecke. Gut ein Jahr und mehrere Gerichtsverhandlungen später ist klar: Die Vorfälle ähneln einem Wirtschaftskrimi - und womöglich kosteten sie hochrangige Igel-Manager ihren Job.

Igel Technology äußerte sich auf Anfrage von ChannelPartner zu den personellen Veränderungen und dem Verfahren gegen seinen ehemaligen Senior Vice President Enterprise Sales EMEA nicht. Anfang Mai 2023 hatte das Unternehmen noch erklärt, man sei an dem damals laufenden Gerichtsverfahren nicht beteiligt. "Die Entscheidung berührt in keiner Weise die Geschäftstätigkeit der Igel Technology GmbH in Deutschland oder anderswo."

Allerdings erklärte Igel damals auch, es analysiere die derzeitige Situation sehr gründlich und werde "die gebotenen Maßnahmen ergreifen - im Interesse des Unternehmens, unserer Stakeholder und unserer Kunden." Ob die personellen Veränderungen Teil dieser "gebotenen Maßnahmen" waren, kann nun nur vermutet werden. Auf jeden Fall haben der europäische Vertriebschef, der CEO und der Chief Revenue Office innerhalb kurzer Zeit ihre Posten verloren

Wenn der Chef die halbe Belegschaft mitnimmt

Doch der Reihe nach: Angefangen hat alles 2020. Wenn eine Führungsperson von einem Unternehmen in ein anderes wechselt, folgen etwas später oft die Kollegen. So etwas kommt gelegentlich vor. Man kann das böse als Seilschaften bezeichnen. Wenn man es positiv sehen will, dann betont man, dass zwischen den Beteiligten eben ein Vertrauensverhältnis herrscht, sie sich aufeinander verlassen können und ihre jeweiligen Fähigkeiten bekannt sind - warum also nicht darauf zurückgreifen, wenn die im neuen Unternehmen benötigt werden?

Ethisch und moralisch schwieriger wird es, wenn es sich dabei nicht um Einzelpersonen, sondern nahezu um die halbe Belegschaft handelt. So geschehen zum Jahreswechsel 2020/21 bei der Karlsruher Firma Unicon. Im Oktober 2020 teilte deren damaliger CEO Niels Keunecke mit, dass er seinen aktuellen Vertrag auslaufen lassen und keinen neuen unterschreiben werde. Keunecke ging anschließend zum Mitbewerber Igel Technology. Soweit ärgerlich für die Karlsruher, aber normal. Schließlich hatte Keunecke angekündigt, dass es ab Frühjahr 2021 einen Interessenskonflikt geben wird.

Nicht angekündigt hatte er dessen Ausmaß: Kurz darauf wechseln nach Angaben von Union erst drei weitere Personen aus dem Management zum Mitbewerber, dann von damals insgesamt 25 Beschäftigten bis Ende Dezember 2020 noch einmal acht. Am 1. April 2021 wurde Niels Keunecke Senior Vice President Enterprise Sales EMEA bei Igel. Seine Aufgabe: "Den Wachstumskurs von Igel weiter anzukurbeln und die Bedeutung des Unternehmens im Enterprise Markt nachhaltig zuz vergrößern."

Igel bekam neuen Standort in Karlsruhe

Erste Schritte dazu: "Neben dem Ausbau personeller Ressourcen erhöht Igel im Rahmen seiner Wachstumsstrategie auch seine Präsenz in Deutschland: Im zweiten Quartal 2021 wird ein neuer Standort in Karlsruhe eröffnet."

Die genauen Umstände der Mitarbeiterabwanderung, die zum Igel-Standort Karlsruhe führten, sind im Detail noch ungeklärt. Es kam aber offenbar teilweise zu dramatischen Szenen und es ist nicht auszuschließen, dass in einzelnen Fällen erheblicher psychologischer Druck aufgebaut wurde. Das wäre nicht schön, aber wahrscheinlich auch nicht strafrechtlich relevant.

52 E-Mails mit vertraulichen Inhalten

Zu mehreren Klagen und Gerichtsverfahren kam es deshalb wegen eines anderen Vorfalls: Die interne IT von Unicon stellt nachträglich fest, dass von der E-Mail-Adresse des ehemaligen CEOs kurz nach dessen Kündigung 52 Nachrichten an sein Gmail-Konto versandt wurden. Das ließ aufhorchen. Die Betreffzeilen nährten dann zusätzlich den Verdacht, dass es sich möglicherweise um Geschäftsgeheimnisse gehandelt hat. Unter dem neuen CEO Philipp Benkler stellte Unicon daher Strafanzeige.

Daraufhin veranlasste die Staatsanwaltschaft am 31. Mai 2021 eine Hausdurchsuchung bei Keunecke und im Igel-Büro in Augsburg. Benkler wurde anschließend im November 2021 als Zeuge geladen, um die sichergestellten Daten zu verifizieren. Auf dem Analyse-Computer der Polizei fand er das Unicon Firmenlaufwerk mit gesamter Ordnerstruktur und insgesamt rund 27.000 Dateien aus dem Firmennetzwerk - von Mitarbeiterverträgen über Distributionsabkommen und Kundendaten, von Finanzinformationen bis hin zu internen Verkaufsunterlagen und technischen Plänen.

Als Benkler Anfang 2022 vollständige Akteneinsicht erhielt, entdecke er auch eine "Unicon Employee Migration Program" genannte Datei aus dem Dezember 2020. Zu dem Zeitpunkt war Keunecke noch Geschäftsführer bei Unicon. Diese Datei sei unter anderem mit Igels CEO Jed Ayres und anderen Personen aus dem Igel-Management geteilt worden und enthielt eine Liste derjenigen Mitarbeiter, die abgeworben werden sollten, erklärt Benkler im Gespräch mit ChannelPartner. Außerdem seien dabei diverse Interna von Unicon mit Igel-Shareholdern geteilt worden - zum Beispiel wurden Kundenlisten kopiert, aufbereitet und innerhalb der Igel-Organisation geteilt.

Der Rechtsweg in solch einem Fall ist kompliziert. Unicon strengte deshalb mehrere Verfahren an. Manche davon wurden abgewiesen.

Update vom 5. April 2024: In dem aus Sicht der Karlsruher wichtigsten Strafverfahren waren sie zunächst erfolgreich, im Berufungsverfahren hat das Landgericht Karlsruhe per Beschluss das Verfahren gegen den Angeklagten jedoch eingestellt. Der Beschluss ist nicht anfechtbar. Darüber hinaus ist zwischenzeitlich in einem außergerichtlichen Vergleich hinsichtlich der Folgen aus dem zivilrechtlichen Verfahren Einigung zwischen den Parteien erzielt worden. Damit wurden die zivilrechtlichen Rechtstreitigkeiten nach Aussagen von Beteiigten "umfassend befriedet". Der Strafantrag durch Unicon wurde zurückgenommen. Die Nebenklage wird nicht mehr weiter verfolgt.

Niels Keunecke, Brad Tompkins und Jed Ayres verlieren ihre Posten

Allerdings hatte Igel das Beschäftigungsverhältnis sowohl mit Keunecke als auch mit Brad Tompkins und Jed Ayres bereits beendet. Tompkins kam 2017 von Red Hat zu Igel. Er war zunächst Vice President of Sales für Amerika, dann Chief Sales Officer und zuletzt Chief Revenue Officer (CRO). Er hat Igel bereits verlassen. Seit Juli 2023 bezeichnet er sich bei LinkedIn als "Change Agent and Builder".

Jed Ayres war zunächst als CEO North America und Chief Marketing Officer für Igel tätig, 2019 übernahm er dann die Postion des Global-CEO. Ayres war schon zuvor wesentlich an der Ausrichtung von Igel auf ein Software-Unternehmen hin beteiligt, diesen Kurs forcierte er als Global-CEO weiter. Aktuell ist er auf der Firmen-Webseite noch als "Company Advisor" gelistet. Was er in dieser Rolle genau tut, ist unklar.

Bei seinem Abschied hatte aber zumindest Jonathan Meeks, Managing Director beim Igel-Investor TA Associates und Igel-Beiratsmitglied noch erklärt, dass man ihm für seinen Beitrag zur Entwicklung des Unternehmens in den vergangenen sieben Jahren und zur dessen erfolgreichen Transformation zu einem führenden Softwareanbieter danke. Den Posten des CEO übernahm Klaus Ostermann. Er kam Anfang 2023 zu Igel - als Executive Chairman. Zuvor war er lange in leitender Position für die Networking & Security Division (Netscaler-Produkte) bei Citrix tätig.

In seinen Stellungnahmen zu den jeweiligen Verfahren konzentrierte sich Igel bisher jeweils darauf, dass sie nichts mit Igel als Unternehmen zu tun hätten. "Zu laufenden Gerichtsverfahren zwischen anderen Parteien, an denen die Igel Technology GmbH nicht beteiligt ist, äußern wir uns grundsätzlich nicht", hieß es etwa auf Anfrage on ChannelPartner. Im Gerichtsverfahren gegen Keunecke sei es zudem um Geschehnisse aus der Zeit gegangen, "während derer der Beschuldigte bei der Unicon beschäftigt war. Das hat mit der Igel Technology GmbH nichts zu tun."

Seine Position untermauerte der Hersteller damit, dass 2022 zwei deutsche Gerichte in zwei voneinander unabhängigen Verfahren "klar und eindeutig" bestätigt haben, "dass die Igel Technology GmbH und ihre beiden Geschäftsführer keinerlei Rechtsverletzung begangen haben. In beiden Fällen wurden die von Unicon eingereichten Klagen in vollem Umfang abgewiesen", erklärt Igel.

Update vom 5. April 2024: Der folgende Absatz zu Details des von Unicon angestrengten Strafverfahren wurde nach dem Ende des Berufungsverfahren vor dem Landgericht Karlsruhe gelöscht, da die darin erhobenen Vorwürfe mit der Rücknahme des Strafantrags durch Unicon nicht mehr relevant sind.

Eines der ersten Verfahren nach dem "Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen"

Bei den von Igel zitierten, abgewiesenen Verfahren handelt es sich um Einstweilige Verfügungen. Aufgrund der neuerlichen beiden Verfahren schätzt Benkler seine Chancen nun anders ein. Er hat das Gefühl, dass sich die Gerichte bei ihnen in Bezug auf das erst am 26. April 2019 in Kraft getretene Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) nicht zu weit aus dem Fenster lehnen wollten.

"Für uns ist auch wichtig, irgendwann mit diesem Kapitel abzuschließen. Schließlich haben wir andere Ziele vor Augen und wollen uns nicht immer nur mit der Vergangenheit beschäftigen", sagt Unicon-CEO Philipp Benkler.
"Für uns ist auch wichtig, irgendwann mit diesem Kapitel abzuschließen. Schließlich haben wir andere Ziele vor Augen und wollen uns nicht immer nur mit der Vergangenheit beschäftigen", sagt Unicon-CEO Philipp Benkler.
Foto: Unicon

"Unsere Klage war eines der ersten Verfahren, dass auf dieses Gesetz Bezug nahm. Es gibt so gut wie keine Referenzentscheidungen dazu. Es ist verständlich, dass sich die Gerichte nicht darum gerissen haben, bei der Auslegung des Gesetzes die ersten zu sein." Das habe die Verfahren möglicherweise erschwert. Aus Sicht von Benkler ändert aber das nun vorliegende Geständnis von Keunecke alles. Denn damit seien nun auch frühere eidesstattliche Versicherungen und Aussagen Dritter teilweise widerlegt.

Aber auch frühere Gerichtsentscheidungen sind damit in einem anderen Licht zu sehen. Zum Beispiel war das Landgericht Bremen davon ausgegangen, dass es keinen Nachweis gebe, dass die Daten zu Igel gekommen wären. Inzwichen sei jedoch klar, "dass die Daten bei Igel gelandet sind", sagt Benkler.

Wie es weitergeht, ist unklar. Unicon prüft nun zumindest alle rechtlich möglichen Schritte - auch die einer Schadenersatzklage oder einer Klage nach dem Urheberrecht. "Das Cosmos-Produkt von Igel erinnert uns schon sehr an unser eigenes Produkt", sagt Benkler. Strategisch ist für ihn diese Frage jetzt aber nicht mehr. "Für uns ist auch wichtig, irgendwann mit diesem Kapitel abzuschließen. Schließlich haben wir andere Ziele vor Augen und wollen uns nicht immer nur mit der Vergangenheit beschäftigen."

Unicon gehört seit Herbst 2021 nicht mehr zu Fujitsu, sondern einem deutschen Investor. " Wir haben unsere Profitabilität genutzt, um das Unternehmen voranzubringen, ohne dabei zusätzliches Kapital aufnehmen zu müssen. Der neue Gesellschafter hat uns ermöglicht, unser Wachstumspotenzial voll auszuschöpfen.", betont Benkler.

Unicon nach kurzer Krise längst wieder auf Wachstumskurs

"Der Investor ist auch angetreten, um Unicon noch erfolgreicher zu machen. Innerhalb von Fujitsu waren wir als 'kleine' Tochterfirma finanziell zu stark eingeengt. Das lag nicht an Fujitsu, das wäre in jedem Konzern so gewesen. Allerdings waren wir immer hochprofitabel. In einer Konzernstruktur wird das abgeschöpft, als eigenständiges Unternehmen können wir das in unsere eigene Weiteentwicklung investieren", so der Unicon-Chef.

Ein Beleg dafür ist die Mitarbeiterentwicklung. Nachdem es nach der Abwanderung zu Igel noch ein gutes Dutzend waren, beschäftigt Unicon aktuell über 70 Personen. Fujitsu ist nach wie vor ein wichtiger Partner. Allerdings setzt Unicon inzwischen mit einem neuen Channel-Portal und einem demnächst kommenden, neuen Channel-Programm darauf, sich breiter aufzustellen. Bedarf im Markt sieht man reichlich. Mit dem ebenfalls bald kommenden, neuen Betriebssystem möchte man sich dann auch wieder auf den technischen Wettbewerb konzentrieren. Die juristischen Auseinandersetzungen sollen dann hoffentlich der Vergangenheit angehören.

Die Unabhängigkeit von Fujitsu ist auch vor dem Hintergrund wertvoll, dass Fujitsu sein Client Business 2024 einstellen wird. "Unsere hardware-agnostischen Lösungen ermöglichen es uns, unsere Softwarelösungen auf nahezu jeder Hardware-Plattform zu betreiben, was uns in einer starken Position für eine erfolgreiche Zukunft bringt. Wir arbeiten hier seit Jahren ebenfalls erfolgreich mit Dell, HP, Lenovo und LG zusammen und haben knapp 100 Geräte auf unserer Kompatibilitätsliste“", heißt es aus dem Unternehmen.

Die historisch gewachsenen Beziehungen zu den Fujitsu-Partnern und den Vertrieb über die Distributoren ADN, Arrow und Bytec will Unicon jedoch beibehalten. Als unabhängiges Unternehmen hat man nun aber alle Möglichkeiten, sich wesentlich breiter aufzustellen, als in der Vergangenheit. Dass man dabei auf einem guten Weg ist, zeigt das Wachstum der vergangenen zwei Jahre.

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