Aktueller Fall Schlecker

Die fünf größten Innovationsfallen

02.05.2012

Innovationsfalle 5: Die Kannibalismusfalle

Kannibalen haben einen schlechten Ruf. Mitglieder der eigenen Spezies zu verspeisen, gilt nicht als schick. Auch Unternehmen haben beständig Angst vor Kannibalismus. Wenn einen die Konkurrenz angreift, ist das schlimm. Schlimmer ist es jedoch, wenn ein Unternehmen sich selbst Marktanteile wegnimmt. Aus diesem Grund weigerten sich die Elektronikhändler Saturn und Media Markt jahrelang, Onlineshops zu eröffnen. Die Kunden könnten schließlich online und nicht mehr in den Geschäften einkaufen. Auch der Entertainment-Gigant Sony hatte kein Herz für Kannibalen. Um das eigene CD-Geschäft zu schützen, wurde die Entwicklung eines Download-Portals für Musik nur halbherzig vorangetrieben. Und der Fotohersteller Leica? Er vermied es Anfang der 90er Jahre tunlichst, in die digitale Fotografie einzusteigen - aus Angst man könnte das eigene Geschäft mit analogen Apparaten gefährden.

In allen drei Fällen profitierten andere. Amazon nahm dem Media Markt eine große Zahl an Kunden weg, Apple entwickelte iTunes und das Geschäft mit der digitalen Fotografie fand weitgehend ohne Leica statt. Zu viel Rücksichtnahme auf das bestehende Geschäftsmodell und interne Befindlichkeiten sowie die Hoffnung "Es wird schon niemand anders auf die Idee kommen" verhindern einen gesunden Kannibalismus. Dabei sind Kannibalen besser als ihr Ruf. Ein Unternehmen, das sich selbst kannibalisiert, handelt proaktiv und kann Märkte der Zukunft gestalten. Andere geraten in die Defensive und werden irgendwann zu Gejagten. Die Kannibalismusfalle sorgt dafür, dass Unternehmen sich nicht bewegen, obwohl sie wissen, dass sie dies eigentlich tun müssten. Und wenn sich das Unternehmen dann irgendwann doch zum Kannibalismus entschließt? Dann haben Wettbewerber am Geschäftsmodell bereits so viel weggefressen, dass praktisch nichts mehr übrig ist.

Hochinnovative Unternehmen verstehen es, die fünf Innovationsfallen zu vermeiden. Sie setzen nicht nur auf eine Verbesserung des Bestehenden, sondern lassen auch radikale Innovationsansätze zu. Sie versuchen nicht, in übersättigte Märkte Produkte hineinzubringen, die noch überflüssiger sind, als die, die es bereits gibt. Stattdessen entwickeln sie Produkte, für die es noch keine Märkte gibt, Dienst-leistungen, die einzigartig sind, und Geschäftsmodelle, die klassische Branchengrenzen sprengen. Unternehmen hingegen, die sich aus den Innovationsfallen nicht befreien können, drehen sich weiter im Kreis. (oe)

Der Autor Jens-Uwe Meyer ist Geschäftsführer der Ideeologen - Gesellschaft für neue Ideen GmbH, Baden-Baden, Lehrbeauftragter an der Handelshochschule Leipzig und mehrfacher Buchautor. Im März 2012 ist im Verlag BusinessVillage sein neuestes Buch "Radikale Innovation: Das Handbuch für Marktrevolutionäre" erschienen (nähere Infos: www.radikaleinnovation.de).
Kontakt:
Tel.: 0700 4333-6783, E-Mail: meyer@ideeologen.de

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