Eigendiagnose und Schadensersatz

Kein Freibrief für Arzt

26.04.2012
Ein selbstbewusst und sachkundig auftretender Patient darf nicht nachlässig behandelt werden.
Foto: Paul Hartmann AG

Auch wenn ein selbstbewusst und sachkundig auftretender Patient eine laienhafte Eigendiagnose stellt, muss ein Arzt diese kritisch betrachten und den Patienten sorgfältig und medizinisch umfassend befragen. Wird aufgrund einer unzureichenden Anamnese die sonst zweifelsfrei erforderliche Hinzuziehung eines anderen Facharztes unterlassen, haftet der erstbehandelnde Arzt den Hinterbliebenen auf Schadensersatz.

Darauf verweist der Stuttgarter Rechtsanwalt Alexander Rilling von der DASV Deutsche Anwalts- und Steuerberatervereinigung für die mittelständische Wirtschaft e. V. mit Sitz in Kiel unter Hinweis auf die Mitteilung des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz vom 13.04.2012 zu seinem Beschluss vom 30. Januar 2012, Az.:5 U 857/11. Damit hat das OLG - wie zuvor auch das Landgericht Mainz - der Klage der Ehefrau und der beiden Kinder des Patienten auf Schadensersatz dem Grunde nach stattgegeben.

An einem Nachmittag im Mai 2007 in Mainz wurde der 36-jährige Vater und Ehemann der Kläger, selbst Rettungssanitäter von Beruf, von zwei Kollegen gegen 16:00 Uhr mit dem Krankenwagen zum beklagten Arzt, einem Orthopäden, gebracht. Dort berichtete der Patient von außergewöhnlich starken Schmerzen in der linken Körperseite und äußerte den Verdacht, Ursache der Schmerzen sei eine Einklemmung eines Nervs im Bereich der Halswirbelsäule. Der sehr selbstbewusst und sachkundig auftretende Patient erwähnte zudem, das Ganze sei bereits internistisch abgeklärt worden. Damit meinte er allerdings eine im Vorjahr erfolgte internistische Befunderhebung, während der Beklagte davon ausging, die internistische Untersuchung sei am selben Tage erfolgt.

Der Beklagte diagnostizierte eine Querwirbelblockade und eine Muskelverspannung und entließ den Patienten gegen 16.40 Uhr nach Hause. Gegen 18.00 Uhr fand ihn seine Ehefrau im Bad bewusstlos auf dem Boden liegend. Der herbeigerufene Notarzt stellte nach vergeblichen Wiederbelebungsversuchen gegen 19.00 Uhr den Tod fest. Todesursächlich war ein akuter vollständiger Verschluss der rechten Herzkranzarterie.

Das Landgericht Mainz stellte eine Haftung des beklagten Orthopäden für sämtliche materiellen und immateriellen Schäden der Hinterbliebenen fest. Die unterbliebene internistische Abklärung trotz vorhandener Leitsymptome eines Herzinfarktes sei ein grober Behandlungsfehler. Mit seiner Berufung erstrebte der verurteilte Arzt die Abweisung der Klage. Aufgrund der irreführenden Angaben des Patienten sei er lediglich verpflichtet gewesen, eine Untersuchung auf seinem orthopädischen Fachgebiet vorzunehmen.

Der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz bestätigte die Entscheidung des Landgerichts, so Rilling.

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