Stärken ausbauen oder Schwächen abbauen?

20.06.2006

Deshalb sollten Führungskräfte, wenn sie mit einem Mitarbeiter über dessen Arbeit und künftige Entwicklung sprechen, mit ihm vor allem erörtern: Warum hat der Mitarbeiter diese und jene Aufgabe gut erledigt? Welche wichtigen Fähigkeiten zeigte er dabei? Wie sollte sein Arbeitsfeld künftig aussehen, damit er sie noch stärker entfalten kann? Denn nur dann werden aus ihren Mitarbeitern mit der Zeit absolute Spitzenkönner, wenn diese ihre Zeit und Energie auf die Dinge verwenden, wo sie überdurchschnittliche Fähigkeiten haben. Verwenden sie jedoch ihre Energien vor allem darauf, ihre "Schwächen" zu beseitigen statt ihre Talente zu schleifen, entrinnen sie nie der Mittelmäßigkeit. Ebenso wie ein Michael Schumacher nie der beste Formel-1-Pilot geworden wäre, wenn er zugleich versucht hätte, den Nobelpreis in Physik zu erringen.

Dies sollten Führungskräfte im Umgang mit ihren Mitarbeitern beachten. Schließlich ist es nicht ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass jeder ihrer Mitarbeiter alles kann. Vielmehr ist es ihre Aufgabe, ihre Mitarbeiter so einzusetzen, dass jeder seine Fähigkeiten entfalten und voll einbringen kann; außerdem die Zusammenarbeit ihrer Mitarbeiter so zu strukturieren, dass sie ein Spitzenteam bilden - unter anderem, weil sie sich wechselseitig unterstützen und ihre individuellen Schwächen kompensieren.

Schwächen sind übertriebene Stärken

Bei einem genaueren Betrachten der so genannten Schwächen von Mitarbeitern zeigt sich zudem meist: Diese sind gar keine Schwächen, sondern übertrieben ausgeprägte Stärken. So arbeitet zum Beispiel eine Person, die "zur Pedanterie neigt", stets sehr ordentlich und gewissenhaft. Eine Eigenschaft, die nicht nur jeder Buchhalter braucht. Zur Schwäche wird ein solches Verhalten erst, wenn der Mitarbeiter Aufgaben wahrnimmt, bei der dieses Verhalten den Erfolg eher verhindert als fördert.

Ebenso verhält es sich bei fast allen "Schwächen". Sie sind zumeist übertrieben ausgeprägte Stärken. So wird zum Beispiel aus einer hohen Leistungsbereitschaft schnell blinder Ehrgeiz. Und aus Vorsicht resultiert schnell Zögerlichkeit und mangelnde Entschlusskraft. Jedoch nur, wenn die betreffende Person eine Aufgabe wahrnimmt, bei der diese Verhaltensmuster nicht gefragt sind. Hierfür ein Beispiel: Wenn ein Fluglotse zig Mal überprüft, ob die Landebahn frei ist, bevor er einem Flugzeug die Landeerlaubnis erteilt, so handelt er korrekt. Schließlich kann eine falsche Entscheidung von ihm Hunderte von Menschen das Leben kosten. Prüft hingegen ein Einkäufer hundert Mal, bevor er sich entscheidet, ob er das Kopierpapier lieber bei diesem oder bei jenem Großhändler ordert, so ist dies eher ein Zeichen für mangelnde Entschlusskraft. Das heißt: Dasselbe Verhalten kann eine Stärke und eine Schwäche sein - abhängig davon, in welcher Situation es gezeigt wird.

Diese Zusammenhänge sind vielen Menschen nicht bewusst. Insbesondere wenn sie im (Arbeits-)Alltag häufig mit denselben Schwierigkeiten kämpfen, verdichtet sich in ihnen schnell das Gefühl: Ich habe hier eine Schwäche. Dieses Gefühl wird in ihnen mit der Zeit oft so stark, dass sie ihre Stärken aus dem Blick verlieren. Entsprechend unsicher werden sie.

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