Brain Technology

Warum Wissen nicht verwaltbar ist

Michael Sudahl lebt in Stuttgart und arbeitet in Schorndorf. Der gelernte Banker und Journalist beschäftigt sich seit 20 Jahren mit den Themen Personal, Karriere und IT. Daneben berät er Firmen in internen und externen Kommunikationsfragen, erstellt Kundenmagazine, schreibt Fachartikel und moderiert Prozesse rund um die Felder Unternehmensstrategie, öffentliche Wahrnehmung und Unternehmenskultur. Darüber hinaus hat er eine mehrjährige Ausbildung zum Körpertherapeuten (Cranio) abgeschlossen und ist inzwischen ebenfalls als Coach und Trainer tätig. 
"Wissen, wer es weiß" beschreibt das Know-how-Management der Zukunft. Unter dem Fachbegriff Brain Technology wird es in Expertenkreisen diskutiert.

Eine steile These kommt aus der Schweiz: "Wissen lässt sich nicht managen", sagt Marc Vontobel, CTO der Starmind AG. Der Wissenschaftler hat an der Universität Zürich Wirtschaftsinformatiker studiert, ehe er sich mit einem Start-up selbständig machte.

Doch das bloße Speichern von Wissen ist eine Überlegung aus den 80-er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Da erkannte man das Potenzial dieser Ressource und begann sich zu überlegen wie wir es möglichst effizient nutzen können. Die praktische - wenn auch schlichte - Lösung lag im Stapeln von Hardware; wir begannen alles zu speichern.
Das Motto lautete: Wissen heißt, wissen, wo es geschrieben steht.

Doch die Praxis stellt sich seither selbst in Frage. Aufwand und Pflege riesiger Datenbanken sind schlicht unwirtschaftlich. Zeit und Kosten für Personal übersteigen den betriebswirtschaftlichen Nutzen, wenn stets jemand dafür sorgen muss, alles aktuell und auffindbar zu halten.

Etliche vor sich hin dümpelnde Wissens-Wikis zeugen noch heute als Relikt von den ersten Stunden des Wissensmanagements.

Wissensmanagement hat sich im Laufe der Jahrhunderte permanent verändert - und wird es auch weiterhin tun.
Wissensmanagement hat sich im Laufe der Jahrhunderte permanent verändert - und wird es auch weiterhin tun.
Foto: docstockmedia_shutterstock

Evolutionsschritt Nummer zwei im Versuch, Wissen zu verwalten, begann mit dem Aufschwung der sozialen Medien. Nach dem Vorbild von StudiVZ, Facebook oder Xing sollte der Austausch als Wissensquelle dienen. Immerhin gelang der Schritt vom blanken Speichern auf der Hardware zur sogenannten webbasierten Corporate Social Software. Hier liegt der Fokus auf dem Vernetzen von Menschen statt auf dem Vorhalten von Daten. Angefeuert durch eine rasende Globalisierungswelle, schien die Idee perfekt, Wissen teilbar statt nur zugänglich zu machen.

Monopole sind immer noch modern

Allerdings war auch sie zum Scheitern verdammt. Hierarchien und Konkurrenzdruck verschärfen den Gedanken, dass Wissen Macht ist. Teilen gilt als unchic. "Wer Wissen hortet, um sich einen Know-how-Vorsprung zu sichern, wird sogar oft dafür belohnt", verdeutlicht Vontobel seine Erfahrungen über Führungskultur in Firmen und Organisationen.

Hinzu kommt, dass Frager Wissenslücken preisgeben. Diese wiederum sind in den Verläufen der sozialen Medien für immer sichtbar, für alle Kollegen und Freunde. Noch ein k.o.-Kriterium, das gegen eine Nutzung von Social Software als Wissenswerkstatt spricht. Ihre Stärke ist zugleich ihre Schwäche: Der unbestimmte Faktor Mensch und sein Hang zum Wissensmonopol.

Anonyme Fragen sind die Lösung

Die Frage ist, wie lösen sich diese Monopole auf? "Neue Ideen setzen auf die Suche nach dem passenden Experten für meine Frage", erklärt der Schweizer Wissenschaftler. Einfach ein Problem in eine Suchmaske eingeben und die Software sucht den richtigen Antwortgeber - ganz anonym.

Damit sind wir angekommen im dritten Evolutionsschritt des Wissensmanagements: Der Brain Technology. Dieser interdisziplinäre Ansatz verknüpft Neurowissenschaft und Netzwerktechnologie. Wie ein Gehirn lernt die Software mit jeder Frage, jeder Antwort und jeder Bewertung. Grundlage ist ein Algorithmus, der Frageninhalte und Nutzeraktivitäten analysiert und das Wissen automatisch kartographiert.

Heute gilt: Wissen, wer es weiß

So wird verstecktes Wissen nutzbar gemacht. Es entsteht ein Gedächtnis, das sich autonom weiterentwickelt und - ganz wichtig - es vergisst. Wissen, wer es weiß, ist das neue Credo im Wissensmanagement.

Vontobel belegt seine Ansicht damit, dass heute das Wissen täglich wachse und sich verknüpfe. Das sei nicht planbar. Als Beispiel nennt er eine Anekdote aus einem Konzern. Dort sind die Experten für alles rund um das Thema Essen und Food die Webdesigner. Zumindest zeichnet dieses Bild eine Analyse von Suchanfragen der eigenen Mitarbeiter. Doch was haben Informatiker mit Lunch und Speiseplänen zu tun - oder warum beantworten ausgerechnet sie Fragen zur Laktose-freien Milch?

Wissen entwickelt sich

"Die Antwort ist so simpel", sagt der 31-jährige Schweizer. Am Hauptsitz des Konzerns liegen die Büros der Programmierer direkt über der Betriebskantine. Diese wiederum war nicht an die Experten-Such-Software angeschlossen, die Fragern passende Antwortgeber findet. Die Webdesigner konnten deshalb etliche Details zu Quarkschnitte und Käsefondue beantworten. Mussten sie dafür ja nur eine Treppe runtergehen und nachschauen.

Das Beispiel zeigt wie sich Wissen entwickelt. Vor allem, wenn die menschliche Komponente dazu kommt. Was heute zueinander passt, kann morgen nicht mehr passen. Denn wenn die Webdesigner morgen ihre Kisten packen und in einen anderen Gebäudeflügel umziehen, ist ihr Kantinen-Wissen aus der Vorwoche wertlos. Das wissen dann vielleicht die Lohnbuchhalter, die nach dem Umzug an den alten Tischen der Informatiker sitzen - über der Kantine. (bw)

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