Amazon Prime

Wie Amazon die attraktivsten Kunden an sich bindet



Marcel Weiß ist Diplom-Kaufmann (Univ.) und beschäftigt sich seit mehreren Jahren intensiv mit den verschiedenen Aspekten der Internetwirtschaft. Marcel Weiß schreibt neben neunetz.com auch regelmäßig für Exciting Commerce über innovative Geschäftsmodelle im E-Commerce und auf neumusik.com über das digitale Musikbusiness
Amazon ist mit 11,9 Milliarden US-Dollar Umsatz in Deutschland einer der größten Händler des Landes. Amazon ist groß, und, das können nicht nur Buchverlage bestätigen, nutzt die dadurch entstehende Einkaufsmacht wie jeder Händler vor Amazon von Aldi bis Thalia.

Kombiniert mit Skaleneffekten bei der Lagerung und Lieferung und anderen Größenvorteilen hat Amazon bereits einen immanenten Vorsprung gegenüber kleineren Online-Händlern.

Aber da hört es auch auf. Amazon kann hier und da sicher noch etwas effektiver arbeiten. Es kann Lagermitarbeiter schlecht bezahlen – das macht ja sonst niemand außer Amazon in der Branche –, und mehr Werbung für die eigenen Angebote schalten. Aber am Ende des Tages muss auch Amazon mit der Marge am verkauften Produkt arbeiten. Auch Amazon muss mit jeder Bestellung die Versandkosten irgendwie wieder hereinbekommen. Da sind alle Händler gleich.

Richtig? Falsch!

Amazon baut seit nunmehr zehn Jahren Amazon Prime Stück für Stück für Stück aus. (Amazon Prime startete 2005 in den USA und kam 2007 nach Deutschland.) Amazon Prime war ursprünglich ein fester Jahresbetrag, für den man kostenloses Two-Day-Shipping erhielt. Noch heute ist das Kernangebot von Amazon Prime die kostenfreie Expresszustellung.

Amazon Prime umfasst aber längst sehr viel mehr. Zusätzlich erhalten Prime-Kunden Zugang zu Amazon Instant Video, Amazons Videostreamingdienst. In den USA können Prime-Mitglieder jeden Monat eins von 500.000 E-Books für ihr Kindle ausleihen. Als Prime-Kunde bekommt man außerdem unbegrenzten Onlinespeicher für seine Fotos in Amazon Cloud Drive. Aber wir sind noch nicht fertig. Auch Amazons Musikstreamingangebot "Prime Music" gehört, wie der Name erahnen lässt, zum Prime-Paket dazu. Auch früherer Zugang zu Amazon-Deals und die Teilnahme an neuen Programmen wie Prime Now in New York oder dem in einigen Regionen der USA verfügbaren Lebensmittel-Lieferdienst Amazon Fresh gehören zum Prime-Paket.

Filme, Musik, Fotos, Bücher und keine Versandkosten. Und niemand weiß, was morgen alles noch zu Prime gehören wird.

Im April 2014 wurde die jährliche Prime-Gebühr um 20 US-Dollar auf 99 US-Dollar pro Jahr erhöht. Diese Preissteigerung um immerhin etwas mehr als 25 Prozent hat dem Wachstum der Mitgliederzahlen laut Amazon keinen Abbruch getan. Um 53 Prozent sind die Mitgliedschaften bei Amazon Prime gegenüber dem Vorjahr laut Amazon gewachsen.

Amazon Prime scheint ausgesprochen attraktiv für die Kunden zu sein, wie man sehen kann. Kein Wunder: Im Gegensatz zu anderen Rabattprogrammen wie Payback und Co. sind die Vorteile bei Amazon Prime -Filme, Musik, Fotos, Bücher und keine Versandkosten- sehr leicht kommunizierbar. Aber was hat Amazon davon?

Amazon kann mit Prime, wie es mit jeder Form von Bündelung möglich ist, mit Mischkalkulationen arbeiten, die einem rein von einzelnen Bestellvorgängen getriebenem Anbieter verwehrt bleibt. Dadurch dass über die Jahresgebühr die Versandgebühren aus Sicht der Prime-Kunden abgedeckt sind, bestellen diese öfter -ungehemmter, wenn man so will- auf Amazon. Laut einer jüngsten Studie (PDF) kaufen Prime-Mitglieder in den USA im Jahr im Schnitt Waren im Wert von 1.500 US-Dollar. Das ist fast das Dreifache der 625 US-Dollar, die ein normaler Amazon-Kunde im Jahr ausgibt.

Amazon kann davon ausgehen, dass Vielbesteller zu Prime tendieren.
Amazon kann davon ausgehen, dass Vielbesteller zu Prime tendieren.
Foto: Amazon

Amazon kann davon ausgehen, dass Vielbesteller zu Prime tendieren und, sobald sie erst einmal Prime-Mitglieder sind, noch mehr bestellen. Das Mehr an Umsätzen und Gewinnen kann Amazon direkt in die Kalkulation von Prime einfließen lassen. Zusätzlich ist die Nachfrage von Prime-Kunden preiselastischer. Da man bereits 99 US-Dollar im Jahr für Prime bezahlt, will man auch sicherstellen, dass es sich rechnet. Also bestellt man auch bei Amazon, wenn ein Produkt etwas mehr als anderenorts kostet. Das mag nicht in allen Fällen rational sein. Aber niemand handelt immer rational. In diesem Zusammenhang sollte auch die Macht der Gewohnheit nicht unterschätzt werden. Wer einmal bei Prime ist und deshalb bevorzugt bei Amazon kauft, wird nicht selten den Preisvergleich mit anderen Händlern komplett einstellen.

Amazon bindet auf diesem Weg die attraktivsten Kunden an sich: die Vielbesteller, die aufhören, ständig auf den Preis zu schielen.

Kann nun nicht jeder Händler sein eigenes Prime anbieten? Leider nein. So einfach ist das nicht. Im Call zu den jüngsten Quartalszahlen hat Amazon-CFO Tom Szkutak direkt bestätigt, was jedem aufmerksamen Beobachter bereits klar gewesen sein dürfte. Viele Kunden melden sich für eine kostenlosen Prime-Trial an, um Zugang zum Videostreaming von Amazon zu erhalten; und nicht wenige bleiben als Prime-Mitglieder hängen. Prime Instant Video ist das Einfallstor für die Prime-Mitgliedschaft.

Spätestens jetzt dürfte deutlich werden, warum Amazon sehr viel, und immer mehr, Geld in TV-Serien und Filme investiert. TV-Inhalte sind Prime-Treiber und sie haben zwei wesentliche Vorteile gegenüber anderen Strategien: Sind die hohen Fixkosten (die Produktion der Inhalte) einmal abgedeckt, hat Amazon nur noch vergleichsweise niedrige variable Kosten für das Angebot abzudecken (Traffic, der aus dem Streaming ensteht). Zusätzlich kann Amazon Serien und Filme, die es selbst produziert hat, leicht in jedes Land bringen, in dem es Prime anbietet. Eine attraktivere Expansionsstrategie ist schwer vorstellbar.

Welcher herkömmliche Onlinehändler kann mit diesem Gesamtangebot konkurrieren? Eine jährliche Gebühr, die einen Teil der Versandkosten abdeckt und für mehr Umsatz pro Mitglied sorgt, ist noch vorstellbar. Aber TV-Streaming oben drauf? Und alles andere, was Amazon in Prime bündelt?

Amazon nutzt immer aggressiver die Skaleneffekte, die dem Handelsriesen zur Verfügung stehen. Und das bedeutet ein größer werdendes Problem für den Rest des Handels.

E-Commerce-Analyst Marcel Weiß: "Die (Shop-)Optimierung des klassischen Online-Handels ist eine Sackgasse"
E-Commerce-Analyst Marcel Weiß: "Die (Shop-)Optimierung des klassischen Online-Handels ist eine Sackgasse"
Foto: Marcel Weiß

Jet.com, das neue Startup des Diapers.com-Gründers Marc Lore, will versuchen, ein ähnliches Membership-Modell wie Amazon Prime oder Costco zu etablieren. Die Jet-Mitgliedschaft kostet pro Jahr 49,99$ und verspricht den Kunden um 10 bis 15 Prozent niedrigere Preise als anderenorts. Jet ist ein Marktplatz, der an den Gebühren pro Verkauf mit verdient. Jet kann langfristig, muss aber nicht, Prime gefährlich werden. Ob Jet erfolgreich sein wird, wird sich zeigen. Der Punkt ist aber nun, dass ein Modell wie Jet zumindest eine Chance hat. Ein Händler mit dem Zehntel der Größe von Amazon oder weniger hat gegen Prime dagegen nur geringe bis keine Chancen. Vor allem wenn man keine direkte Antwort auf Prime, dass um die 40 Millionen Mitglieder haben soll, findet.

Die einzige Lösung für den Handel ist so leicht dahergesagt, wie sie schwer umsetzbar ist: Geschäftsmodellinnovation. Die (Shop-)Optimierung des klassischen Online-Handels dagegen ist eine Sackgasse. (rw)

Zur Startseite