Interview mit dem Mittelstandsexperten Gerald Holler: "Partner müssen sich in den Mittelstand hineinversetzen"

20.04.2007

CP: Ein viel diskutiertes Problem bei Systemhäuser ist: Wie gewinne ich neue Kunden? Bieten Lösungsansätze Vorteile?

Holler: Nach meiner Erfahrung fehlt vielen Systemhäusern vor allem der vertriebliche Ansatz. Compris zum Beispiel bekommt jede Woche x Anrufe von Finanzdienstleistern, von Verlagen und von Telekommunikationsanbietern, die mir ihre Dienste anbieten wollen. Aber wir haben in fünf Jahren gerade mal drei Anrufe von Systemhäusern erhalten, die uns erklärten: "Ich habe gerade in der Zeitung gelesen, Sie sind auf Wachstumskurs. Sagen Sie, welche IT-Struktur haben Sie?"
Wenn es ein Verlag schafft, ein Unternehmen anzurufen wegen eines 80-Euro-Jahres-Abos, dann müsste das doch auch ein Systemhaus können. Wir haben letztes Jahr zirka 100.000 Euro in unsere IT investiert. Das ist eine ganz klare vertriebliche Schwäche.

CP: Wäre das ein guter Ansatzpunkt für Hersteller?

Holler: Gewiss. Indem sie den Partnern Vertriebsschulungen geben. Der Hersteller muss ihnen sagen, wie der Vertrieb funktioniert. Parallel dazu muss sich der Hersteller überlegen, wie er diese Vertriebsunterstützung in seinem Margen-Modell abbildet. Um zu einem Bild zu greifen: Es laufen zwei Zahnräder. Das eine sind die Systemhäuser, das andere sind die Hersteller. Aber sie greifen noch nicht exakt ineinander.

CP: Woher sollen Hersteller wissen, wie der Vertrieb im Mittelstand funktioniert? Woher kommt der Input, um hier strategisch vorgehen zu können?

Holler: Ein Hersteller muss sich genau ansehen, wie ein mittelständischer Unternehmer - es sind ja meistens inhabergeführte Firmen - denkt. Dem Unternehmer geht es darum: Wie verdiene ich am meisten? Wie steuere ich meine Prozesse entsprechend?

Als Geschäftsführer meines Unternehmens möchte ich wissen: Wie kann ich mein Unternehmen mit dem geringstmöglichen Prozessaufwand am einfachsten steuern? Die meisten Unternehmer haben diesen Ansatz: Ich will wissen, was in meinem Unternehmen "rund" läuft. Wer in einem mittelständischen, inhabergeführten Unternehmen arbeitet, kennt diese Situation. Es wird hier mehr gefragt und gesprochen, als prozessseitig abgebildet wird. Ich glaube, der Hersteller muss für diese mittelständischen Unternehmen ein Gefühl entwickeln.

CP: Kann man die Zugangsweisen zum Mittelstand systematisieren?

Holler: Sicher. 1. Eine Möglichkeit ist, die verschiedenen Rahmenbedingungen zu thematisieren. So gibt es zwei wichtige, verbindliche Compliances. Unternehmen müssen alle firmenrelevanten Dokumente digital archiviert haben. Für das Finanzamt müssen alle unternehmensrelevanten Finanzdaten digital in Datenbankform vorliegen (GDPdU). Hier haben viele Unternehmen Nachholbedarf.
2. Ich empfehle jedem Hersteller, sich mit einer Handvoll Unternehmern zusammenzusetzen und über das Thema IT zu reden. Ein langer Abend reicht, um genügend Input über die Wichtigkeit der IT für einen Unternehmer mit beispielsweise 100 Mitarbeitern zu erhalten. Dieser offene Austausch findet viel zu selten statt.
3. Der Vertrieb, hersteller- und partnerseitig, muss die Bedürfnisse des Mittelständlers genau kennen und wissen, wie er mit dem Kunden darüber redet. Worauf reagiert der Kunde? Reagiert er auf Zahlen? Darauf muss der Vertrieb eine Antwort wissen.

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