Holistic Customer Management

Aus Daten werden Emotionen

Markus Brunold ist CEO des Software-Herstellers BSI. Er brennt für die Themen Business Innovation, Customer Experience Management und Technologie-Trends. Kundennähe ist seine oberste Prämisse für sein unternehmerisches Handeln.
Unternehmen verlagern zunehmend mehr Bereiche ihrer Kundeninteraktion ins Netz. Es fehlt aber noch einiges, damit daraus eine echte "Customer Experience" wird.

Während Analystenhäuser wie Gartner Trends wie die Total Experience ausrufen, sind die meisten Unternehmen noch mit den ganz elementaren Herausforderungen eines ganzheitlichen und kanalübergreifenden Kundenmanagements beschäftigt. Von den Ergebnissen sind die Kunden häufig nicht überzeugt - und das hat Folgen: Laut einer Studie des Experience-Management-Unternehmens Qualtrics wechselt die Hälfte der Befragten in Deutschland den Hersteller, weil ihr Einkaufserlebnis nicht mit dem Markenversprechen übereinstimmt. Als besonders wichtig nannten die Befragten neben der Produktqualität den Kundenservice (62 Prozent).

Unternehmen, die nicht nur die Geschäftsziele, sondern auch die Wünsche und Erwartungen ihrer Kunden im Fokus haben und klar kommunizieren, vermeiden Unsicherheit und ratlose Blicke auf Kundenseite.
Unternehmen, die nicht nur die Geschäftsziele, sondern auch die Wünsche und Erwartungen ihrer Kunden im Fokus haben und klar kommunizieren, vermeiden Unsicherheit und ratlose Blicke auf Kundenseite.
Foto: WildMedia - shutterstock.com

Was bedeutet Holistic Customer Management?

Die Herausforderung, erfolgreiche Kundenbeziehungen im digitalen Zeitalter zu etablieren, ist nicht neu - aber eben auch nicht trivial. Unternehmen müssen dafür vor allem auf drei Handlungsfeldern aktiv werden: Zum einen erwarten Verbraucherinnen im Sinne von Omnichannel und Multi Experience nahtlose Kundenerlebnisse über alle Kanäle hinweg. Dabei sollte der Kunde selbst entscheiden können, wann er welchen Kanal für welche Interaktion mit dem Unternehmen verwenden will. Vor allem aber muss das Kundenerlebnis über alle Kanäle hinweg konsistent und von gleich hoher Qualität sein.

Zum anderen geht es darum, Hyperpersonalisierung konsequent umzusetzen, um wirklich ein Erlebnis zu generieren. Denn dazu gehört mehr als einfach nur funktionierende administrative Prozesse, zum Beispiel:

  • eine proaktive und sympathische Ansprache, die den Kunden positiv überrascht,

  • guter Content und Angebote, die wirklich relevant für den Kunden.

So entsteht eine Customer Experience, die Emotionen weckt und die Kundenbindung stärkt.

Prozessintegration als Voraussetzung für Ökosysteme

Ein weiterer Erfolgsfaktor für eine nahtlose, effiziente und zugleich bedarfsorientierte Kundeninteraktion besteht darin, die Kollaboration mit einer wachsenden Zahl an Zielgruppen zu managen - inhaltlich, aber auch auf systemtechnischer Ebene. Kunden lassen sich besonders gut über Self-Service-Angebote, beispielsweise über eine Portallösung, in die eigenen Prozesse integrieren. Aber auch die Abläufe in Richtung Lieferanten und Partner müssen nahtlos funktionieren. Nur so lassen sich auf der Basis gemeinsam genutzter Daten und Systeme beispielsweise die viel zitierten Ökosysteme so umsetzen, dass sie dem Kunden einerseits wirklich einen Nutzen bieten und andererseits möglichst automatisiert ablaufen, um den Aufwand gering zu halten. Auf dieser Grundlage können dann die dazugehörigen kollaborativen Produkte, in der Versicherungsbranche beispielsweise spezialisierte Versicherungsleistungen für hochwertige Möbel oder Bancassurance zielgerichtet entwickelt und vermarktet werden.

Kundenzentrierung - von der Strategie bis zum Reality Check

Die technischen Möglichkeiten für ein ganzheitliches Kundenmanagement sind verfügbar, wenn auch die konkrete Umsetzung in den Unternehmen angesichts historischer gewachsener Strukturen oft tatsächlich keine leichte Aufgabe ist. Woran es aber vor allem hapert, ist die gelebte Kundenzentrierung: Orientierungspunkt für viele Unternehmen ist nach wie vor nicht der Kunde, sondern die eigenen internen operativen Prozesse. Das müsste sich dringend ändern, denn gleichzeitig werden die Kundenprozesse immer ganzheitlicher und deren Lebensereignisse immer wichtiger für gezielte Interaktionen. Ein guter Anfang wäre es schon, bestehendes Kundenwissen im Unternehmen gezielt abzuschöpfen und zu nutzen. Speziell der Kundenservice ist dafür eine gute Adresse.

Eine solchermaßen gelebte Kundenzentrierung muss sich durch sämtliche Prozesse und Aufgaben im Unternehmen ziehen, angefangen von der Strategie. Diese muss klar darlegen, wie sich das Unternehmen positionieren und welche Rolle es gegenüber den Kunden einnehmen möchte - was natürlich auch vom Geschäftsmodell abhängt. So sollte sich ein Versicherer zum Beispiel fragen: Will ich als Versicherer Lebensbegleiter meiner Kunden sein - oder spreche ich als Onlinehändler breite Zielgruppen an? Von dieser Positionierung hängt entscheidend ab, welche Art und Qualität von Kundenerlebnissen ein Unternehmen bietet, und auch, ab wann diese möglicherweise in die analoge Welt zurückverlagert werden müssen. Hier gilt die Faustregel: je komplizierter das Produkt- und Lösungsangebot und je langfristiger der Beziehungshorizont mit den Kunden, desto analoger letztlich der Kontakt - zumindest ab einem gewissen Zeitpunkt.

Apropos langfristige Kundenbeziehungen: Je größer die Zahl der möglichen Touchpoints über den gesamten Kundenlebenszyklus hinweg, desto mehr Kreativität müssen Anbieter in die aktive Gestaltung unterschiedlichster Lebenssituationen und Bedürfnisse des Kunden investieren. Und dafür auch alle verfügbaren Daten für zielführende Analysen heranziehen.

Eine der ersten Aufgaben für Unternehmen wird deshalb darin bestehen, Datensilos im Unternehmen abzubauen. Unternehmen brauchen eine 360°-Sicht auf ihre Kundendaten; außerdem müssen sie deren Qualität und Einheitlichkeit sicherstellen sowie eine regulierungskonforme Nutzung der Daten durch die Fachabteilungen gewährleisten. Nur so lassen sich die Daten wirklich im Sinne der Kundinnen, aber natürlich auch der eigenen Geschäftsentwicklung einsetzen. Ein bereichsübergreifendes Datenmanagement ist demnach eine elementare Voraussetzung für ein ganzheitliches Kundenmanagement.

Kollisionsmanagement beachten - Employee Experience optimieren

Speziell für große Unternehmen mit mehreren Sparten, die teilweise für die gleichen Kunden tätig sind, ergibt sich noch eine weitere Herausforderung. Hier muss die Kundenansprache immer unter Beachtung des Kollisionsmanagements erfolgen. Um zu vermeiden, dass Kunden unter Umständen zeitgleich Angebote aus verschiedenen Bereichen eines Anbieters erhalten, die sich im schlimmsten Fall dann auch noch zuwiderlaufen, sollten Unternehmen Anlässe für den Kontakt mit den Kunden abteilungsübergreifend planen. Die Auswahl der Angebote für die Kunden orientiert sich sinnvollerweise an dem, was aus Gesamtunternehmensperspektive am sinnvollsten ist. Das Ziel kann dabei in einer Umsatzmaximierung, aber durchaus auch in einer Erhöhung der Kundenzufriedenheit liegen. Optimalerweise agiert hier ein zentrales Kundenmanagement als letzte Entscheidungsinstanz, um "Bereichbefindlichkeiten" auszugleichen und die optimale Lösung zu finden.

Selbst bei denjenigen Unternehmen, die auf diesem Wege schon recht weit sind, empfiehlt sich schließlich ein regelmäßiger Reality Check, um die Kundenperspektive nicht nur gedanklich einzunehmen und organisatorisch umzusetzen, sondern tatsächlich einmal zu erleben. Hier gibt es viele Möglichkeiten, von einem Test der eigenen Prozesse bis zu einem Besuch in der eigenen Filiale.

Last but not least gibt der Fachkräftemangel allen Unternehmen noch eine weitere wichtige Hausaufgabe mit: Wer eine gute Customer Experience will, sollte zuvor unbedingt in eine gute Employee Experience investieren. Entscheidende Interaktionen finden immer mit Menschen statt; an ihrer entscheidenden Rolle im Kundenkontakt ändert auch die Digitalisierung nichts - im Gegenteil! (bw)

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