Joachim Wenning (Chef des Versicherers Munich Re), Telekom-Chef Tim Höttges und Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger sind sich mit CSU-Politiker Markus Söder, dem sächsischen Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und dem CDU- Bundesvorsitzenden Friedrich Merz einig: Deutschland und die Deutschen müssen mehr arbeiten. Das Problem: Über die Hälfte der Deutschen will das nicht.
Das ist nicht unbedingt Faulheit, wie viele der Mehrarbeits-Befürworter den Beschäftigten vorwerfen - oder zumindest unterstellen. In Deutschland wurde 2023 mit insgesamt rund 55 Milliarden Stunden so viel gearbeitet wie noch nie. Zwar ging die Zahl der Überstunden im Vergleich zum Vorjahr zurück, sie lag aber immer noch bei 1,3 Milliarden. Das entspricht 835.000 Vollzeitstellen. Von den Überstunden waren 775 Millionen - also 58,31 Prozent - unbezahlt.
Wie die Zeitschrift Personalwirtschaft anmerkt, liegt der Wert damit über dem Niveau von 2020. Auffällig sei zudem, dass in den vergangenen drei Jahren weniger Extra-Stunden vergütet wurden als unbezahlt blieben. 2020 war dieses Verhältnis hingegen noch umgekehrt. "Eine Rolle dürfte neben konjunkturellen Faktoren auch die sinkende Tarifbindung spielen, da Regeln zur Vergütung beziehungsweise Abgeltung von Zusatzarbeit meist kollektivrechtlich geregelt sind. Dort wo ein Ausgleich stattfindet, geschieht dies einer anderen aktuellen Untersuchung zufolge häufiger durch Abfeiern der Stunden als durch tatsächliche Auszahlung", schreibt das Fachmagazin.
Wie eine Umfrage von Xing Anfang September zeigte, kommt das dem Wunsch der Beschäftigten entgegen. Mehrarbeit generell ist für einen großen Teil jedoch unattraktiv. 58 der deutschen Beschäftigten finden dem repräsentativen "Xing Arbeitsmarktreport 2024" zufolge nicht, dass Mehrarbeit volkswirtschaftlich gesehen notwendig ist. Die Hälfte der Befragten würde sogar gerne weniger arbeiten als bisher. Rund ein Drittel würde für mehr Urlaubstage auch Gehaltseinbußen hinnehmen.
Die durchschnittliche wöchentliche Wochenarbeitszeit in Deutschland liegt mit 34,4 Stunden aber schon jetzt unter dem europäischen Durchschnitt (36,9 Stunden). Die älteren Generationen (Babyboomer und Generation X), die schon länger im Arbeitsleben stehen sagen zu jeweils 63 Prozent, dass Mehrarbeit nicht nötig sei. Millenials (55 Prozent) und GenZ (53 Prozent) schätzen die Notwendigkeit deutlich höher ein.
Mehrarbeit sollen vor allem die anderen leisten
Allerdings sollen vor allem die anderen mehr arbeiten. Da sind sich die Befragten mit den Politikern und Konzernchefs einig. Denn auch aus der Gen Z sagen 53, dass sie gerne weniger Stunden als derzeit arbeiten würden; bei den Millenials sind es 50 Prozent. Generationenübergreifend möchten 49 Prozent ihre Arbeitszeit reduzieren. Nur die Babyboomer bilden mit einem Anteil auf 37 Prozent eine Ausnahme.
"Hier zeigt sich eine klare Schere zwischen den Generationen: Während die überdurchschnittlich leistungsbereiten Babyboomer das Gefühl haben, ihren Teil getan zu haben, aber auch generell weniger Notwendigkeit für eine Anhebung der Arbeitszeit sehen, sind sich die Jüngeren eines drohenden Wohlstandsverlustes deutlich bewusster", sagt Thomas Kindler, Managing Director von Xing. "Während sie theoretisch anerkennen, dass Mehrarbeit hier als Gegenmittel greift, würden sie es vorziehen, diese nicht selbst leisten zu müssen."
Der Fachkräftemangel ist dabei den Befragten durchaus bewusst: Über 40 Prozent geben an, dass ihr Unternehmen Schwierigkeiten habe, passendes Personal zu finden. 30 Prozent berichten von einer erhöhten Arbeitsbelastung und fast genauso viele von schlechter Stimmung und Motivationsproblemen. Laut einem Viertel leidet auch die Qualität der Arbeit, von einem erhöhten Stresslevel und Burn-out-Gefahr berichten 24 Prozent. Dennoch würden 9 Prozent der Befragten gerne mehr arbeiten. Bei denen, die geringfügig oder in Teilzeit beschäftigt sind, liegt der Anteil bei 15 Prozent.
Funktionierende Anreize für Mehrarbeit
Damit sie freiwillig mehr arbeiten wünschen sich die Beschäftigten vor allem Bonuszahlungen und Prämien (48 Prozent) beziehungsweise ein höheres Gehalt anteilig zur Stundenzahl (40 Prozent) oder deutlich darüber hinaus (43 Prozent).
Zusätzliche Urlaubstage sind für 40 Prozent attraktiv. Damit könnte zumindest kurzfristig entstehender, zusätzlicher Arbeitsaufwand abgefangen werden -die spätere Abwesenheit könnte dann allerdings wieder neue Probleme schaffen.
Steuerliche Anreize wären für 33 Prozent ein Grund, die Arbeitszeit zu erhöhen. Das könnten sich sicher auch viele Betriebe vorstellen - trüge doch so der Staat zumindest einen Teil der Mehrkosten, die sonst für Mehrarbeit entstehen. Dadurch bestünde allerdings die Gefahr, dass der arbeitsmarktpolitisch ungewünschte Effekt entsteht, das Mehrbelastung vermehrt durch Überstunden abgefangen wird, statt durch Neueinstellungen. Der Staat hätte also einerseits weniger Einnahmen, andererseits bliebe er auf mehr Kosten für die Arbeitslosenversicherung sitzen.
34 Prozent der Befragten würden für mehr Urlaubstage einen Teil ihres Gehalts opfern. 21 Prozent können sich vorstellen, bereits für eine bessere Work-Life-Balance finanzielle Einbußen in Kauf zu nehmen. Vor allem Frauen klagen über fehlende Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung (35 Prozent).
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